Die Merkwürdigkeiten der FIDE-Freilos-Berechnung

Schachfunktionären ist in der Regel Undank gewiß. Der gemeine Amateur-Schächer betrachtet ihr Wirken mit Skepsis. Das ist oft ungerecht. Deshalb wollen wir hier einmal den deutschen Schachbund loben, namentlich Bundesturnierdirektor Gregor Johann.

Als wir jüngst beim Speedchess eine Schlusstabelle erhielten, die uns merkwürdig vorkam, dauerte es keine halbe Stunde und er hatte auf unsere Anfrage eine schlüssige Erklärung geliefert. Und weil uns das so beeindruckt hat, dokumentieren wir hier den kurzen Mailverkehr:

Die Frage (verschickt am 14.10. 21:32 Uhr):

Sehr geehrter Schachfreund Johann,

in einem Vereinsturnier sind wir auf ein Phänomen gestossen, das wir uns
nicht erklären können. Es geht dabei um Feinheiten der Buchholz- und
Sonneborn-Berger-Bewertung bei einem Turnier mit ungerader
Teilnehmerzahl. Können Sie uns jemanden vermitteln, der uns das Phänomen
erläutern kann oder können Sie es eventuell sogar selbst erläutern?

Konkret: in einem Vereinsturnier gab es eine ungerade Starterzahl. In
der Schlusstabelle haben zwei Schachfreunde eine gleiche Anzahl von
Punkten erzielt. Beide haben gegen die gleichen Gegner die gleichen Ergebnisse
erzielt und gegeneinander unentschieden gespielt. Einer der beiden hat
während des Turniers einen vollen Punkt durch ein Freilos erhalten, der
andere hat den Punkt in einer Partie errungen. In der Schlusstabelle
liegt der Spieler mit Freilos nach Buchholz und Sonneborn-Berger vor dem
Spieler, der den Punkt am Brett errrungen hat. Das Turnier samt Verlauf
findet sich hier.
Die ausgewiesene Reihenfolge ergibt sich bei der Verwendung zweier
Turnierprogramme, SwissChess und Sevilla. Bei beiden ist der FIDE-Modus
eingestellt - Auswertungsregel vom Kongress 2009 in Kallithea.

Uns würde interessieren, wie es zu der Merkwürdigkeit kommt. Da gleich
zwei Programme das entsprechende Ergebnis ausweisen, scheint es
FIDE-konform zu sein, auch wenn es unsinnig erscheint.

Mit freundlichen Grüßen

Thorsten Hapke
SK Ricklingen


Die Antwort (verschickt am 14.10.19, 22:01):


Hallo Herr Hapke,

das Ergebnis ergibt sich durch die Behandlung nicht gespielter Partien bei der FIDE-Buchholz.
Zum einen gilt:
13.14.2. For tie-break purposes a player who has no opponent will be considered as having played against a virtual opponent who has the same number of points at the beginning of the round and who draws in all the following rounds. For the round itself the result by forfeit will be considered as a normal result.
Zum anderen werden kampflose Siege der Gegner nur mit einem halben Punkt in die Buchholz eingerechnet.

Von daher ergibt sich bei Ihnen:
5 (Wemheuer-Linkhof)
+ 3 (Schmidt)
+ 1,5 (Vespermann, hat eigentlich 2 Punkte, aber 1 Punkt wurde kampflos erzielt und wird nur 1/2 gerechnet)
+ 2,5 (Berlin)
+ 1 (Ihr Freilos in der 3. Runde ist der virtuelle Gegner, der 0 Punkte wie Sie in Runde 3 hatte, Runde 3 verloren hat, aber dann 2 mal remis gespielt hat, siehe Regel oben, also auf 1 Punkt kommt)
= 13

Für Sfr. Berlin ergibt sich
5 (Wemheuer-Linkhof)
+ 3 (Schmidt)
+ 1,5 (Vespermann, hat eigentlich 2 Punkte, aber 1 Punkt wurde kampflos erzielt und wird nur 1/2 gerechnet)
+ 2 (Hapke, , hat eigentlich 2,5 Punkte, aber 1 Punkt war kampflos und wird nur 1/2 gerechnet)
+ 0,5 (Pubantz, , hat eigentlich 1 Punkt, aber dieser war kampflos und wird nur 1/2 gerechnet)
= 12

Diese Regelung wurde gemacht, damit beim Schweizer System Aussteiger und kampflose Partien nicht so stark ins Gewicht fallen. Bei kleiner Teilnehmerzahl kann das mitunter jedoch zu Ergebnissen führen, die nicht gut nachvollziehbar sind.
Ich hoffe, Ihnen damit geholfen zu haben.

Viele Grüße
Gregor Johann